Joyce’ Nachbarn

In Triest wechselten Joyce und seine Familie zehnmal das Haus. Aber das war damals keine Seltenheit, denn Umzüge waren ein weit verbreiteter Brauch, für den sogar zwei Tage im Jahr vorgesehen waren (der 24. Februar und der 24. August). An diesen Tagen wurden nämlich die Mietverträge für Geschäfte und Häuser erneuert, wie die Leerstandsanzeigen in der Zeitung “Il Piccolo” berichten. Ein großer Teil der Triestiner aus der unteren Mittelschicht lebte damals in Mietwohnungen und zog genau zu diesen Terminen aus, wobei die Stadt vor Hausrat, Karren und Gepäckträgern nur so wimmelte. Die Joyces achteten stets darauf, die eher heruntergekommenen Viertel wie San Giacomo und Città Vecchia zu meiden, obwohl sich Joyce wegen der vielen preisgünstigen Bars oft dort aufhielt. Bis 1909 lebte die Familie in der Città Nuova, dem damaligen Geschäftsviertel, und danach in weniger zentrale, aber immer noch kleinbürgerliche Viertel zu ziehen. Ihre Nachbarn – Lehrer, Angestellte, Handelsvertreter, Näherinnen, Ladenbesitzer – hatten Namen, in denen alle in Triest gesprochenen Sprachen mitschwingen. Auffallend ist die Emanzipation der Frauen zur damaligen Zeit: Es gab viele alleinstehende, berufstätige Frauen bzw. verwitwete Immobilienbesitzerinnen, die Wohnungen vermieteten, wie Francesca Lorenzetto, die Eigentümerin des Gebäudes in der Via Bramante 4.

> Quelle: Alberto Governo, Case e quartieri joyciani a Trieste. James Joyce e la situazione abitativa triestina ad inizio Novecento. Bachelorarbeit in “Fremdsprachen und fremdsprachige Literatur”. Erstbetreuerin: Tullia Catalan; Zweitbetreuerin: Laura Pelaschiar, 2023