Die „stimme“ des Karsts

Die jungen Intellektuellen, die auf der Grundlage der Zeitschrift La Voce ("Die Stimme") in Florenz die italienische Kultur neu begründen wollten, zerstreuten sich, als der Krieg ausbrach, der die Bevölkerung von Triest spaltete. Scipio Slataper und Giani Stuparich entschieden sich für "ihren" Karst, wo sie auch ihr Schicksal fanden.

Scipio Slataper

«Zuallererst bin ich ein Mensch. Dann bin ich Dichter (und kein Literat). Dann bin ich Triester (habe also keine literarische Tradition, sondern muss alles selbst machen).»

Lettere alle tre amiche (1958)

Nach seinem Abschluss ging er 1908 nach Florenz, wo er die wichtigsten und interessanten Strömungen der neuen italienischen Literatur kennenlernte und begann, zusammen mit anderen Triestern an Giovanni Papinis und Giuseppe Prezzolinis Zeitschrift La Voce mitzuarbeiten. 1909 wurden dort seine Lettere triestine veröffentlicht: halb Erzählung eines Einheimischen über ein geheimnisvolles Land, halb Schmähschrift eines rebellischen Sohnes gegen eine Stadt, die “keine Kulturtraditionen hat” (Non ha tra tradizioni di coltura, Titel des ersten Artikels) und sich nichts um ihre kulturellen Einrichtungen (u.a. die Städt. Bibliothek) schert.

Scipio Slataper - Archivio degli Scrittori e della Cultura Regionale UniTS
Scipio Slataper - Archivio degli Scrittori e della Cultura Regionale UniTS

«Ich werde keine Zeile mehr über Triester Angelegenheiten schreiben. Ich werde stattdessen “triestinisch” schreiben. Am Sonntag, im Schnee, habe ich die unheimliche Kraft gespürt, die in unserem Karst, in meiner Stadt, steckt.» In diesem Brief an Prezzolini vom Januar 1910 findet sich die Ankündigung seines wichtigsten Werks Il mio Carso (Mein Karst), das 1911 ebenfalls in den Ausgaben von “La Voce” erschien. Innere Autobiographie, lyrische Prosa, intimes Tagebuch, expressionistisches Porträt – viele unterschiedliche Definitionen für ein Werk, das die Landschaft, die Geschichte und die Seele von Triest und seinem Autor einfangen will.

Giani Stuparich in trincea, 1916 – coll. Fototeca CMSA

Giani Stuparich

«”Ich würde gerne nach Paris gehen”, sagte er, “und in den Tag hineinleben, von Elend und Utopien leben […].” “Nein,” sagte Antero, “du bist zwar entschuldbar, wenn du so redest, aber ich glaube, dass Leben Pflichterfüllung ist.”»
Un anno di scuola (1929) Giani Stuparich teilte mit Scipio Slataper und seinem Bruder Carlo ein gutes Stück der Jugend, Meinungen, Bestrebungen, Freundschaften und Liebschaften. In Triest besuchten die ersten beiden das Dante-Gymnasium, an dem Stuparich später unterrichtete und dem er die Kurzgeschichte Un anno di scuola (Ein Schuljahr in Triest) widmete. In Florenz verkehrten sie im Umfeld von La Voce. Als der Krieg ausbrach, meldeten sie sich zur italienischen Armee, um bei der Eroberung von Triest ihren Tribut zu leisten. Im Gegensatz zu seinem Freund und dessen Bruder, die im Schützengraben starben, geriet Giani, der mit einer Goldmedaille für militärische Tapferkeit ausgezeichnet wurde, in Gefangenschaft und überlebte – allerdings mit einer enormen Last auf dem Herzen.
Giani, Carlo Stuparich, 1915 ca. - coll. BC Hortis
Giani, Carlo Stuparich, 1915 ca. - coll. BC Hortis

Giani selbst unterteilte sein Leben in “vor” und “nach” den Kriegen. Seiner Kindheit gewidmet sind L’isola (1942), das auf Lussino/Lošinj spielt, wo sein Vater herkommt, und Ricordi istriani (1961). Trieste nei miei ricordi (1948), Colloqui con mio fratello (1925), Guerra del ’15 (1931), Ritorneranno (1941) und die redaktionelle Betreuung der Werke von Carlo (Cose e ombre di uno, 1919) und Scipio (Scritti letterari e critici, Lettere, Note di diario, geschrieben zwischen 1929 und 1953) sind hingegen sein Tribut an die Kriegsereignisse.

Als Journalist, Schriftsteller und Lehrer führte Giani während des Faschismus, den er nicht unterstützte, ein zurückgezogenes Leben. Im Jahr 1944 wurde er von der SS verhaftet und ins KZ Risiera di San Sabba gebracht, wo ihm die Deportation drohte und er sein Leben riskierte. Inhaftiert waren auch seine Mutter und seine Frau Elody Oblath, eine von Slatapers “drei Freundinnen”, von denen eine, die als Gioietta bekannte Anna Pulitzer, Scipios Verlobte war und 1910 durch Selbstmord starb. Die andere, Luisa Carniel (Gigetta), wurde Scipios Frau. Elody und Giani heirateten 1918 und hatten drei Kinder. Sie trennten sich 1946, als Giani sich mit der Schriftstellerin und Verlegerin Anita Pittoni zusammentat. Betreut von seiner Tochter Giovanna, starb er drei Tage nach seinem 70. Geburtstag in Rom.

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