Das Wien am Meer
Die für Mitteleuropa typische Tradition der Kaffeehäuser als Orte der Begegnung, Arbeit und des Nachdenkens trifft in Triest auf eine literarische Berufung.
Das älteste Kaffeehaus der Stadt ist das Caffè Tommaseo. Als Zentrum für die Irredentisten im 19. Jahrhundert erinnert es sowohl an Niccolò Tommaseo, dem Dalmatiner Literaten und Autor des ersten Wörterbuchs der italienischen Sprache (von dem einige Autografen erhalten sind), als auch an Umberto Saba, der es in dem Gedicht Caffè dei negozianti (dem ersten Namen des Cafés) hochleben lässt. Im Caffè Garibaldi auf der Piazza dell’Unità trafen sich Svevo, Saba, Quarantotti Gambini, Voghera, Giotti, Bazlen und Stuparich. Joyce hingegen ging lieber in die Konditorei Pirona, um seinen Presnitz zu genießen, und ins Stella Polare, in der Nähe der Berlitz-Schule, wo er arbeitete.
«Das San Marco ist ein richtiges Kaffeehaus, Peripherie der Geschichte, gekennzeichnet durch die bewahrende Treue und den liberalen Pluralismus seiner Besucher. Pseudokaffeehäuser sind jene, in denen sich eine einzige Sippe breitmacht, ganz gleich ob von ehrbaren Damen, vielversprechenden jungen Leuten, alternativen Gruppen oder über alles und jedes Bescheid wissenden Intellektuellen. Jede Endogamie ist asphyktisch; auch die Internate, der Campus der Universitäten, die exklusiven Clubs, Pilotklassen und die kulturellen Symposien sind die Negation des Lebens, das ein offener Seehafen ist.»
Claudio Magris, Microcosmi (1997)