Virgilio Giotti
[Schönbeck Belli]
Sabas Freund, der mit seinen “Farben” die impressionistische Malerei in Poesie umsetzt
Geboren als Schönbeck, alias Giotti – ein Rückgriff auf den Nachnamen seiner Mutter – wurde sein Name1933 in Belli geändert. Er war ein begabter Zeichner und besuchte mit seinen Malerfreunden Guido Marussig und Vittorio Bolaffio die Kunstschule. Um dem Habsburger Einzug zum Militär zu entgehen, zog er 1907 nach Florenz. Hier wurde sein Talent zur Poesie: In dem Piccolo canzoniere triestino (1914) meidet Giotti die vorherrschende D’Annunzio-Lehre, nähert sich Pascoli an und wählt den Dialekt, der seiner visuellen und beschreibenden Poesie der Figuren und Landschaften von Triest entgegenkommt.
1911 lernte er Nina Schekotoff kennen, die ihm drei Kinder schenkte: Zwei von ihnen starben im Zweiten Weltkrieg in Russland. 1919 kehrte er nach Triest zurück, wo er einen Zeitungskiosk eröffnete und dann Arbeit als Angestellter fand. Landschaften, Liebe, Stillleben sind das Leitmotiv von Giottis Versen und Zeichnungen, die er in einem Band mit dem Titel Colori (“Farben”) sammelte. Der zurückgezogene Outsider, den Pier Paolo Pasolini für den größten Interpreten des Realismus des Alltagsschmerzes der italienischen Lyrik des 20. Jahrhunderts hält, erhielt 1957 den Feltrinelli-Preis der Accademia dei Lincei.
«Entschuldigen Sie, sind Sie ein Melancholiker?» Mit diesen Worten sprach der junge Saba eines Abends den ebenso jungen Giotti an. Es war der Beginn einer Freundschaft, die lange Zeit halten sollte. Eine Freundschaft, die zu einer künstlerischen Partnerschaft wurde: Für Saba entwarf Giotti das Logo für den Bücherladen Libreria Antica e Moderna, er redigierte und illustrierte die plaquette von Cose leggere e vaganti und übernahm die grafische Gestaltung von zehn Heften in wenigen Exemplaren – ein Vorgeschmack auf den Canzoniere von 1921. Saba veröffentlichte Giottis Sammlung Il mio cuore e la mia casa (1920) beim Verlag seiner Libreria.
IN RIVA
De drio del rimitur de àuti e trànvai,
de drio dei alboreti dispossenti,
e dopo de la riva coi camini
dei vaporeti e i casoti e la gente,
xe el mar, xe el ziel. E mi vardo quel mar
e quel ziel nudi, grandi, e me consolo.
In quel mar, in quel ziel xe quel che vòio,
xe quel che bramo e speto.
* /re-mi-tur/ sm – disordine, confusione, baillame, pandemonio, scompiglio
Si dà di solito come buona la derivazione dal francese demitour (mezzo giro), ossia, l’evoluzione l’evoluzione compiuta in parata dai soldati della guarnigione napoleonica a Trieste, al suono dei tamburi, e lo strepito dei medesimi).
Umberto Saba, Virgilio Giotti, Carolina Wölfler, 1910 – coll. Centro Studi V. Giotti
Von Grado nach Dalmatien, über Ponterosso, tuto un remitùr*
Die Sprache der Schriftsteller, die den Dialekt verwenden, ist archaisch und zugleich sehr modern: Tradition und Experimentalismus.
Biagio Marin
Der musikalische Dialekt der Lagunenstadt Grado – einem historischen Badeort und verträumten Gewirr aus kleinen Inseln und Kanälen, Fischerbooten und strohgedeckten Casoni-Häusern – wurde zum unverwechselbaren Klang seiner Poesie. Nach seiner Ausbildung im florentinischen Umfeld der Zeitschrift La Voce und später in Wien und Rom unterrichtete er nach dem Ersten Weltkrieg in der Nähe von Görz und leitete später das Fremdenverkehrsamt von Grado. Von 1941 bis 1956 fand er in Triest – seiner geliebten Wahlheimat – Stabilität und wirtschaftliche Sicherheit als Leiter der Bibliothek der Generali-Versicherungen an der Mündung des Ponterosso-Kanals.
Lino Carpinteri e Mariano Faraguna
Journalisten, Schriftsteller, Dramatiker: eine Partnerschaft, die 1945 mit der Zeitung Caleidoscopio begann, gefolgt von La Cittadella, einer wöchentlich erscheinenden satirischen Seite in der Tageszeitung Il Piccolo bis 2001. In der Zeitung, im Radio, in Büchern und in Theaterstücken erzählen sie von einem volkstümlichen, amüsanten, lebendigen Mitteleuropas in Triest / Istrien / Dalmatien. Große Erfolge feierten die Erzählungen Maldobrie (1966 -1983), ein Schifffahrtsepos mit den Bewohnern der alten Provinzen des ehemaligen Kaiserreichs, und die Dichtungen von Serbidiola (1964). Dieses Nonsense-Wort stammt aus der ersten Zeile der italienischen Fassung der Österreichischen Kaiserhymne: «Serbi Dio l’austriaco regno…»
Claudio Grisancich
Der zwölfjährige Grisancich wurde von der Stimme einer Frau, die im Radio ein Gedicht im Dialekt vortrug, in den Bann gezogen: eine Offenbarung. Die Stimme war die von Anita Pittoni, die ihn bald in ihrem Salon empfing. 1966 veröffentlichte er Noi vegnaremo, die erste einer langen Reihe von Gedichtsammlungen voller Rhythmus, Humor, Gefühl und Beschreibungskunst, die in Geschichten und Erinnerungen münden.
Alles im Dialekt – mit nur einer langen Ausnahme zwischen 1975 und 1989, in der er auf Italienisch schrieb. Wie Marin bei Generali beschäftigt, drehte sich in Grisancichs Leben alles um die Triester Literatur: seine Beziehung zu Pittoni, sein Studium über Rosso, Radio mit Pressburger, die Übersetzung von Kravos ins Slowenische. Seit 2020 ist er der Vorsitzende des Saba-Preises für Gedichte.