Der Zeitungskiosk der Geschichte 

Ein chronothematischer Rundgang und ein Zeitungskiosk, um die Geschichte von Triest kennenzulernen

1719: The Big Bang

Im frühen 18. Jahrhundert war Triest ein kleines Fischerdorf an der südlichen Grenze des Heiligen Römischen Reiches. Es wurde vom österreichischen Haus Habsburg regiert, dem sich die Stadt 1382 freiwillig unterwarf und dem sie so ihr Schicksal überließ, um dem natürlichen Feind Venedig zu entkommen. Im Jahr 1719 erhob Kaiser Karl VI. Triest zum Freihafen, der frei von Zöllen und Steuern war. Die demographische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt in den darauf folgenden zwei Jahrhunderten war schwindelerregend. Zu den einheimischen italienischen, deutschen und slowenischen Gemeinden gesellten sich griechische, serbische, albanische, türkische und armenische Kaufleute und Arbeiter. Triest wurde zu einer offenen, modernen, kosmopolitischen Stadt.

Stampa di Trieste, in “Die Ehre dess Hertzogthums Crain” - Johann Weikhard Valvasor, 1689 > coll. BC Hortis
Johann Weichard von Valvasor, Triester Druck, in "Die Ehre dess Hertzogthums Crain", 1689 > coll. BC Hortis

Die Planstadt

Im Jahr 1718 befand sich die Stadt noch innerhalb der mittelalterlichen Mauern. Die akribische Angabe der Tiefe des Meeresbodens lässt vermuten, dass die Küste für den neuen Hafen genutzt werden soll. Der Hafen, Handelszentrum des Habsburgerreiches, ist eine künstlich geschaffene Stadt, die von Wien gewollt, «auf der Landkarte eingezeichnet und hauptsächlich auf geschriebenem Papier aufrecht erhalten wurde» (Tomizza). Es waren die von Kaiserin Maria Theresia diktierten Gesetze, die die Einwanderung förderten, die Religionsfreiheit einführten und Konsulate eröffneten, die Hafenanlagen ausbauten und die Stadtplanung neu gestalteten: 1780 wurde die Altstadt mit dem Borgo Teresiano vereinigt.

Pietro Kandler, Cartolare di Piani e Carte dal quale fu tratto l’albo presentato allo Imperatore nell’autunno, 1856 > coll. BC Hortis | Grundriss von Triest im Jahr 1718 (tav. 291)

Trieste del “sì”, del “ja”, del “da”*

* Carolus Cergoly, Latitudine nord, 1980

In der kosmopolitischen Stadt wurden viele Sprachen gesprochen, aber die Hauptsprachen waren drei. Italienisch fungiert als Verständigungssprache, auch dank der dialektalen Variante, der in Triest wahren Lingua franca. Slowenisch wird auf der Karstebene und in einigen Arbeitervierteln gesprochen. Deutsch ist die offizielle Sprache der Bürokratie und der Behörden. In dem supranationalen Reich mit seiner Hauptstadt Wien lebten Völker, die ein gegensätzliches Nationalbewusstsein entwickelten. Ein bedeutender Teil der Italiener in Triest strebte danach, sich mit dem aus dem Risorgimento hervorgegangenen Königreich Italien zu vereinen. Die Slowenen entwickelten eine nationale Identität und strebten nach mehr Anerkennung und Unabhängigkeit. Die Österreicher waren sich bewusst, dass das Reich ohne den Hafen nicht überleben konnte. In den Jahren zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert war die Stadt umkämpft.

Population of Trieste*

Italian
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Slovenian
0 %
Deutsch
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Serbian Croatian
0 %
Other languages
0 %
* Prozentualer Anteil der Bevölkerung von Triest im Bezug auf die verwendeten Sprachen (1910) – Quelle: D. De Castro, 1977

Vor dem Krieg

In der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren die geopolitischen Ereignisse in Europa mit dem kontinuierlichen demografischen und wirtschaftlichen Wachstum der Stadt und den Forderungen nach Erneuerung von immer größeren Teilen der Bevölkerung verbunden.

Im Jahr 1863 wurde der Triester Turnverein Associazione Triestina di Ginnastica gegründet, der in den darauf folgenden Jahren aufgrund der irredentistischen Ansichten seiner Mitglieder von den österreichischen Behörden fünfmal aufgelöst wurde. 1903 wurde die Genossenschaft Cooperative Operaie di Trieste Istria e Friuli gegründet, um die Lebensbedingungen der Arbeiter durch gegenseitige Hilfsinitiativen und die Einrichtung von Sparfonds zu verbessern.

Bewohner des Stadtteils San Giacomo vor der Arbeitergenossenschaft COOP, 1903 > mit freundlicher Genehmigung von Lucio Fabi
Folla in attesa delle truppe italiane: Molo San Carlo > coll. Fototeca CMSA – ph. Umberto Morterra
Menschenmenge wartet auf italienische Truppen auf dem Molo San Carlo, 1918 > coll. Fototeca CMSA - ph. Umberto Morterra

Der Krieg vor der Tür

Im Juli 1914 landeten die Särge von Erzherzog Franz Ferdinand, Thronfolger von Österreich und Ungarn, und seiner Frau Sophie, die bei einem Attentat in Sarajewo getötet wurden, in Triest: Das war der Beginn des Ersten Weltkriegs. 50.000 Triestiner, zumeist italienischsprachig, wurden an die russische Front nach Galizien geschickt. Als Rom in den Krieg gegen Wien eintrat, wechselten viele Irredentisten über die Grenze, um in die italienische Armee einzutreten.

Am Ende des Krieges, am 3. November 1918, legte der Zerstörer Audace an der Mole San Carlo an, die seitdem Molo Audace heißt. Die Stadt wurde Teil des italienischen Staates.

Beerdigung von Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie, 2. Juli 1914
> coll. Fototeca CMSA – ph. Carlo Wulz

Die Aufstände von 1915

Im Mai 1915 erklärte Italien dem Österreich-Ungarn den Krieg und ein Teil der Triester Bevölkerung rebellierte, indem sie die Symbole der italienischen Kultur angriff. Italo Svevo vermerkte in seinem Tagebuch: «Der Sitz der Zeitung Il Piccolo steht in Flammen. Im klaren abendlichen Mondschein greifen die gigantischen roten Flammen jetzt auf die Häuser über […]. Plünderer und Brandstifter sind in sehr guter Stimmung.

Keiner hält sie auf. Eine gehetzte Frau mit feuchten Händen und einer schweißnasser Stirn kommt auf uns zu. […] Ich glaube, etwas rührt sich in ihrem Gewissen, denn sie kommt auf mich zu und hat das Bedürfnis, meine Zustimmung zu bekommen:
– “Wir sind alle Italiener. Aber sie haben sich wirklich erbärmlich verhalten. Einen Krieg zu beginnen, nachdem wir monatelang so viel gelitten haben.”»

Piazza Goldoni, ehemals Piazza della Legna, Sitz der Zeitung, um 1900 > coll. BC Hortis

Prima pagina del ”Corriere della Sera”, 18 settembre 1938 > coll. BC Hortis
Titelseite der Zeitung “Corriere della Sera”, 19. September 1938 > mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca di Studi Umanistici UniTS

Zwischen den beiden Kriegen

Nachdem die kaiserlichen Verwaltungsstrukturen abgebaut und die österreichischen Angestellten zurück in die Heimat geschickt worden waren, wurde die Stadt mit dem Vertrag von Rapallo vom 12. November 1920 offiziell italienisch. Der neue Staat bemühte sich, die rückläufigen Hafenaktivitäten durch eine Politik der industriellen Entwicklung zu ersetzen. Gleichzeitig erlebte die Stadt das Aufsteigen des Faschismus, der eine Politik der Entnationalisierung und Gewalt gegen die slowenischsprachige Bevölkerung einleitete. In diesem komplexen Kontext, der von politischer Konfrontation, nationalen Fragen und kulturellen und sprachlichen Faktoren geprägt war, kam es zu der gravierenden Episode des Brandanschlags auf das Hotel Balkan, den Sitz der wichtigsten slowenischen Kultureinrichtungen. 1938 verkündete Benito Mussolini von einer Bühne in der Nähe des Rathauses auf der Piazza Unità d’Italia (ehemals Piazza Grande) die Rassengesetze, mit denen die jüdische Bevölkerung diskriminiert werden sollte.
Effetti del bombardamento 1943 > MS - Fondo fotografico
Effects of the bombing, 1943 > MS - Fondo fotografico

Zweiter Weltkrieg

Im Jahr 1940 trat Italien an der Seite Deutschlands in den Krieg ein und besetzte einen großen Teil des jugoslawischen Territoriums. Nach dem Sturz Mussolinis im Jahr 1943 schufen die Deutschen das Adriatische Küstenland und unterstellten die Stadt Triest dem Dritten Reich. Die Stadt erlebte das Grauen des KZ “Risiera” di San Sabba, in dem auch Giani Stuparich inhaftiert war. Schwere Bombenangriffe der Alliierten im Jahr 1944 zerstörten einen großen Teil des Industriegebiets und damit auch die Villa von Italo Svevo. Im Mai 1945, als sich der Krieg dem Ende zuneigte, marschierten Titos jugoslawische Truppen in die Stadt ein, besetzten sie 40 Tage lang, wobei sie mit großer Härte gegen politische Gegner und diejenigen vorgingen, die sich dem Anschluss der Stadt an Jugoslawien widersetzten. Die anglo-amerikanischen Alliierten übernahmen im Juni die Macht und richteten die Alliierte Militärregierung (AMG) ein, der 1947 die Einrichtung des Freien Territoriums Triest (FTT) folgte.

Das Risiera di San Sabba

In Triest hat das Wort “risiera” (eigentlich “Reisfabrik”) eine erschütternde Bedeutung. Im Herbst 1943 nahm das Nazikommando unter der Führung von Odilo Globočnik, einem deutschsprachigen Triestiner slowenischer Herkunft, eine reisverarbeitende Fabrik im Vorstadtbezirk San Sabba in Besitz und machte es zu einem Ort der Inhaftierung und Sortierung von Gefangenen, Gegnern und Juden, die für Lager in Nordeuropa bestimmt waren, zu einem Ort von Gewalt und Mord.

Laut Historiker durchliefen 20.000 Gefangene das Lager und mindestens 5.000 Opfer wurden dort verbrannt. Das Gebäude wurde in ein Museum umgewandelt und 1965 zum Nationaldenkmal erklärt.

Risiera di San Sabba, Außenansicht, um 1975 > coll. Fototeca CMSA – ph. Alfonso Mottola

Ritorno all'Italia - 1954 - Fototeca CMSA - ph. Adriano de Rota
Feierlichkeiten zur erneuten Zugehörigkeit zu Italien, 1954 > coll. Fototeca CMSA – ph. Adriano de Rota

Freies Territorium Triest

Das Freie Territorium von Triest (auf Italienisch: Territorio Libero di Trieste; auf Englisch: Free Territory of Trieste; auf Slowenisch: Svobodno Tržaško Ozemlje) ist ein unabhängiger Staat, der in Art. 21 des 1947 zwischen Italien und den Alliierten unterzeichneten Pariser Vertrags vorgesehen war, aber nie rechtlich zu Stande gekommen ist. Es war als entmilitarisiertes und neutrales Gebiet geplant, das bis zur Ernennung eines Gouverneurs – wozu es nie kam – provisorisch durch die anglo-amerikanischen Truppen regiert werden sollte. Ein keineswegs befriedeter Schwebezustand, mit dem das Phänomen des Exodus der italienischen Bevölkerung aus den Gebieten Istriens verbunden war und auf den sich die Aufstände vom November 1953 auswirkten, bei denen sechs Demonstranten, die für die Zugehörigkeit von Triest zu Italien kämpften, getötet wurden. Am 5. Oktober 1954 wurde in London eine Absichtserklärung zwischen Italien und Jugoslawien unterzeichnet: Triest kehrte unter die Kontrolle der italienischen Zivilverwaltung (Zone A) zurück, während ein Teil der Halbinsel Istrien (Zone B) an Jugoslawien ging.

Mappa della divisione del TLT in Zona A e B pubblicata su “Il Piccolo” 1954 > coll. BC Hortis
Mappa della divisione del TLT in Zona A e B pubblicata su “Il Piccolo” 1954 > coll. BC Hortis

Krieg und Frieden: Diego de Henriquez

Der Wissenschaftler und Sammler von Kriegsgeräten sowie Autor von informierten Tagebüchern war schon als Kind bei Spaziergängen im Karst von den Überresten des Ersten Weltkriegs fasziniert. Im Zweiten Weltkrieg sammelte er die erbeuteten Kriegsgeräte, indem er mit den wechselnden Kommandos der Besetzung von Triest verhandelte. Der exzentrische Mann schlief in einem Bett in Form eines Sarges und kam 1974 bei einem Brand in dem Lagerhaus, in dem er lebte, ums Leben. Die zahlreichen Zweifel über den Hergang des Unfalls regten gerichtliche und journalistische Untersuchungen an. Seine Geschichte und seine Sammlung gaben Anlass zur Gründung des nach ihm benannten “Kriegsmuseum für den Frieden” und inspirierten die Romane Verfahren eingestellt von Claudio Magris und Der Tod wirft lange Schatten von Veit Heinichen.

Diego de Henriquez in seinem Lager für Austellungsstücke rund um den Krieg, Trebiciano, 1971 > coll. CMDH

Eine Lange Nachkriegszeit

Erst mit dem Vertrag von Osimo 1975 wurden die provisorischen Verwaltungsgebiete des FTT endgültig den beiden Nachbarstaaten zugewiesen: Triest kam zu Italien, Istrien zu Jugoslawien. Mit der neuen Regelung nach dem Fall der Berliner Mauer und der gewaltsamen Auflösung der jugoslawischen Föderation schien der julianische Hafen seine geopolitische und wirtschaftliche Rolle und Triest seine Zentralität wiederzuerlangen. Mit dem Schengener Abkommen, das 2004 auf Slowenien und 2022 auf Kroatien ausgedehnt wurde, fielen – auch physisch – die Grenzen, an denen Triest seine Geschichte geschrieben hat. Die Grenze wird “unsichtbar” und die Freizügigkeit begünstigt den Austausch und die Beziehungen zwischen den Staaten in einem Europa, das sich immer neuen Herausforderungen stellen muss.
Il “Concerto dei tre presidenti” diritto dal Maestro Riccardo Muti, storico evento di pacificazione tra Italia, Slovenia e Croazia, 2010 ph. provvisoria.
Das 'Konzert der drei Präsidenten' unter der Leitung von Maestro Riccardo Muti: historische Friedensveranstaltung zwischen Italien, Slowenien und Kroatien, 2010 > mit freundlicher Genehmigung von Andrea Lasorte - ph. Andrea Lasorte

Der Exodus

Der “Exodus” der italienischen Bevölkerung aus Istrien, Dalmatien und der Kvarner-Bucht ist ein für mehrere Generationen traumatisches und schmerzhaftes Ereignis. Sie ließen alles zurück, rotteten sich in den in der Provinz Triest eingerichteten Flüchtlingslagern zusammen und wählten oft den Weg der Auswanderung nach Australien und Amerika.

Viele blieben jedoch in Triest, wo sich die Zusammensetzung der Bevölkerung ein weiteres Mal änderte. Der Istrianer Schriftsteller Fulvio Tomizza hat
dieses kollektive Drama erzählt.

Der “Exodus” aus den istrischen Ländern, 1954 > mit freundlicher Genehmigung von IRCI Regionales Institut für istrisch-fiumanisch-dalmatinische Kultur

-Nita, freust du dich, dass wir nach Triest gehen?
-Wann?
-Bald.
-Und wann kommen wir wieder zurück?
-Nein, wir kommen nicht zurück. Wir bleiben für immer in Triest.
-Wir auch?
-Wir auch.
-Und die bubune (Kühen)?
-Und die bubune nehmen wir mit.
-Und kann man die in Triest irgendwo grasen lassen?
-Wir werden schon was finden.
-Und wird Onkel sie weiden?
-Wir werden sehen. Warum, möchtest du nicht auch mitgehen?
-Ich, ja. Mittlerweile kennen sie mich, sie lassen sich sogar von mir die Fußfessel anlegen. Aber in Triest ist viel Verkehr. Wie soll ich sie bei so vielen Autos denn weiden lassen?
-Wir bringen sie an einen Ort, wo keine Autos sind. Und Bello bringt sie ja auch zurück oder?
-Aber besteht da nicht die Gefahr, dass er jemanden beißt? Stimmt es, dass es in Triest viele Auswärtige gibt?
-Das stimmt. Aber schlaf jetzt.

Aus Materada, Fulvio Tomizza, 1960

Foibe

Auch das Wort “foiba”, abgeleitet vom lateinischen fovea (Grube), ist in Triest mit schmerzhaften Ereignissen verbunden. In den tiefen Karsthöhlen, die über die Hochebene und Istrien verstreut sind, wurden Menschen geworfen. Sie wurden Opfer der Gewalt, die jugoslawische Partisanenverbände im Herbst 1943 und im Frühjahr 1945 gegen Soldaten, Zivilisten, vor allem Italiener, und Gegner des neuen sozialistischen Staates unter der Führung von Marschall Tito verübten.

Symbol dieser Gewalt ist die Foiba von Basovizza, ein stillgelegter Minenschacht im Triester Karst, der 1992 zum nationalen Denkmal erklärt wurde.

Foiba von Basovizza, 2024 / Detail mit einem Gedicht von Lina Galli

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